Was den Bulli-Erfinder mit Zug verband

Wieso der erste superreiche Ausländer von Walchwil Kinder beschenkte

Gregor und Monika Senn mit ihren Sparbüchlein auf dem Weg zur Bank. (Bild: Raphael Zemp)

Der holländische Geschäftsmann Ben Pon hat nicht nur Weltentdecker und Hippies glücklich gemacht, sondern auch Walchwiler Schüler. Zwei Zeitzeugen erinnern sich an eine ungewöhnliche Aktion im Jahr 1965 – und erleben eine grosse Überraschung.

Bernardus Marinus Pon ist seit über fünfzig Jahren tot, die Erinnerung an sein Schaffen aber noch immer lebendig. Auf Internetseiten, in Museen, ja gar Strassen und Plätze sind nach ihm benannt.

Denn der Holländer Ben Pon ist jener umtriebige Autohändler, der 1947 als erster überhaupt VW-Autos aus dem kriegsversehrten Deutschland exportiert hat. Ebenso jener, der den ersten VW-Käfer in die Vereinigten Staaten verschifft haben soll. Vor allem aber gilt Pon als Urvater und Geburtshelfer des VW-Busses, des «Bulli».

Mit wenigen Strichen hielt er ebenfalls 1947 ein erstes Mal auf Papier fest, was zwei Jahre später in Serienproduktion gehen und in den kommenden Jahrzehnten für Abertausende zum Inbegriff der motorisierten Freiheit werden sollte.

10 Franken für «die gesamte Walchwiler Schuljugend»

Was bitte hat dieser zweifellos findige Geschäftsmann mit unserer Zentralschweiz zu tun? Mehr als man denkt. Denn Ben Pon hat auch in unserer Region seine Spuren hinterlassen, genauer am Zugersee, in der Gemeinde Walchwil.

Seit 1957 besitzt er dort ein Feriendomizil, vier Jahre später kauft er ein Grundstück. Das sagen die Akten des Staatsarchivs Zugs. Er halte sich öfters am Zugersee auf, sei bei der lokalen Bevölkerung beliebt, heisst es in den Dokumenten weiter.

«Da kommt einer, und macht der ganzen Schule auf einen Schlag ein Geschenk, wie wir es uns vielleicht auf Weihnachten haben erhoffen können.»

Monika Senn, Zeitzeugin

Seiner Beliebtheit keinen Abbruch getan haben dürften mehrere Aktionen in den 60er-Jahren. 1963 etwa wurde in Walchwil gemäss einer Zeitzeugin nicht nur ein neues Schulhaus eingeweiht, sondern auch die ganze Schülerschaft beschenkt – von niemand geringerem als Ben Pon. Jeder Schülerin, jedem Schüler, von der 1. bis zur 6. Klasse überreichte er ein Sparbüchlein mit einem Guthaben von 10 Franken.

Damit nicht genug: Auch die nachrückenden Erstklässler kamen in den darauffolgenden Jahren in den Genuss eines ebensolchen Sparbüchleins. Diesen Schluss lässt zumindest ein weiteres Zeitzeugnis zu, aus dem Jahr 1965.

Das Sparheft von Ben Pon, das die Geschwister Senn und alle anderen Schüler 1965 erhielten. (Bild: Raphael Zemp)

Mit diesen Schenkungen hatte sich der «ominöse Pon» definitiv zum Dorfthema gemacht – und sich ins Gedächtnis vieler eingebrannt, bis heute.

Eine der Beschenkten war Monika Senn, die 1963 in die dritte Klasse ging. Sie spricht von einer für sie «einmaligen Aktion», die «schon beeindruckend» gewesen sei. «Da kommt einer, und macht der ganzen Schule auf einen Schlag ein Geschenk, wie wir es uns vielleicht auf Weihnachten haben erhoffen können.»

Der erste «Superreiche» im Dorf

Pon, dessen Villa unmittelbar unterhalb des Schulhauses lag, habe sich damit nicht nur den Respekt der Schüler «erkauft», sondern auch verdeutlicht, dass er ein Zuzüger der bis dahin unbekannten Art war: «der erste superreiche Ausländer in Walchwil».

Diesen Eindruck hat Pon auch bei Gregor Senn, den jüngeren Bruder Monikas hinterlassen. Es seien schon vorher Leute nach Walchwil gezogen, die nicht am Hungertuch nagten. «Pon aber spielte in einer anderen Liga», erinnert sich der 1965 Beschenkte, der damals als Achtjähriger die erste Klasse besuchte. Die Aktion des Holländers sei umso beeindruckender gewesen, als ein Grossteil seiner Kameraden zu jener Zeit Bauernkinder waren, «einige davon auch aus eher bescheidenen Verhältnissen».

So ungewöhnlich das Geschenk, so wenig wussten allerdings die Empfänger damit anzufangen. Das gilt zumindest für Bruder und Schwester Senn. «Ich hielt damals zum ersten Mal ein Sparbüchlein in der Hand – und hatte keine Ahnung, was man damit hätte tun können», sagt Monika Senn. Das Dorfleben hätte zu einem grossen Teil noch ohne Geld funktioniert. Zudem hätte sie das Geschenk sowieso erst mit ihrer Volljährigkeit nutzen können – diese Bedingung hatte Pon an sein Geschenk geknüpft.

Auf dem Weg zur Kantonalbank, um ihre Sparhefte einzutauschen: Gregor und Monika Senn. (Bild: Raphael Zemp)

Und so haben die Geschwister Senn gewartet, gespart. Das geschenkte Geld: Sie haben es nie angetastet. Es hat stumm vor sich hingearbeitet, Zinsen und Zinseszinsen angehäuft. Das zumindest ist die Hoffnung von Bruder und Schwester, als sie sich an einem sonnigen Spätsommertag in der grell ausgeleuchteten Hauptfiliale der Zuger Kantonalbank wiederfinden. Welches Geheimnis die uralten Büchlein wohl noch bereithalten?

Die grosse Überraschung

Die beiden sind sich einig: Man sei auf jeden Fall «sehr gespannt». Nur wenige Minuten später klickt ein junger, schnittiger Bankangestellte einen ernüchternden Befund auf den Bildschirm: Nichts. Kein Geld, ja nicht einmal eine kleinste digitale Spur jener Sparbüchlein, die man durchaus «nicht jeden Tag zu Gesicht bekommt», wie er einräumt. Die Kapitalforderung sei längst verjährt, er könne beim besten Willen nichts machen. Daran ändert auch nichts, was auf dem Büchlein schwarz auf blau abgedruckt ist: Staatsgarantie.

Das Geld des reichen Ausländers, es hat keinen Einfluss auf den Werdegang der Geschwister Senn ausgeübt. Nicht einmal für ein Bier auf die guten alten Zeiten hat es gereicht. Das Geschenk ist spurlos versickert.

Die Lücken in der Geschichte Zugs im 20. Jahrhundert

Damit endet die Geschichte des holländischen Geschäftsmannes. Doch es zogen weitere Ben Pons an den Zugersee, liessen erst einzelne Villen aus dem Boden schiessen, bald darauf ganze Überbauungen. Wo einst Kühe an den Ausläufern des Zugerbergs grasten, schmiegen sich heute ausladende Terrassensiedlungen an die Hänge. Das Antlitz Walchwils wurde durch das ausländische Kapital hingegen ordentlich umgepflügt. Aus Bauernkindern sind Landmillionäre geworden, aus dem 1950 rund 1’200 Einwohner zählenden Dorf eine stattliche Schlafsiedlung mit gut 3’500 Einwohnern.

Und Walchwil ist damit nicht alleine. Vom Armenhaus zum reichsten Kanton der Schweiz: Der Kanton hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich. In der Erinnerung vieler ist Ben Pon der erste superreiche ausländische Zuzüger in Walchwil, ein Vorbote der grossen Geldflut, die schon bald das Dorf heimsuchen und gehörig umkrempeln sollte.

«Es gilt, noch viele Lücken zu schliessen.» 

Renato Morosoli, Historiker und Mitarbeiter des Staatsarchivs Zug

Ob dem aber tatsächlich so war, bleibt unklar. Verlässliche Daten haben sich nicht auftreiben lassen. Was sich aber generell sagen lässt: In den Kanton Zug wandern erst ärmere Ausländer ein, die vornehmlich in der Industrie arbeiten und sich in den Gemeinden Zug, Baar und Cham niederlassen. Später, ab den 1950er- und 60er-Jahren, folgen gutbetuchte Ausländer – wie etwa Ben Pon.

Tiefe Steuern – mit persönlicher Haftung

Zuzüger wie er sind mitverantwortlich, dass ab der Mitte des 20. Jahrhunderts auch in Landgemeinden wie Walchwil die Bevölkerung markant zunimmt. Dabei lockt im Fall Walchwil nicht nur eine schöne Aussicht auf Zugersee und Rigi, sondern auch ein tiefer Steuerfuss. Dessen Senkung hat Gemeindepräsident, Regierungs- und Nationalrat Alois Hürlimann im Jahr 1965 durchgeboxt – nicht zuletzt mit dem Versprechen, für Ertragsausfälle persönlich aufzukommen. 

Das wirtschaftliche Wachstum im Kanton Zug anhand der Entwicklung der Firmen. (Grafik: zvg)

Nebst steuerpolitischen Entscheiden einzelner Gemeinden macht sich Ende der 50er-Jahre auch die kantonale Steuerrevision aus dem Jahr 1946 bemerkbar. Sie war eine tiefgreifende Liberalisierung jener Holdingprivilegien, die Zug bereits 1921 eingeführt hatte – als erster Kanton der Schweiz. Und sie war eine wichtige Voraussetzung für das explosionsartige Wirtschaftswachstum, das Ende der 50er-Jahre einsetzte (siehe Grafik). Nebst anderen Faktoren wie der besseren Anbindung an Zürich, der Eröffnung des Flughafens Zürich sowie der allgemeinen Wirtschaftskonjunktur in Europa (Stichwort: deutsches Wirtschaftswunder). Die Folge: Neue Firmen, Zuzüger und jede Menge Geld, das in den Kanton floss.

Jüngste Geschichte Zugs ist noch löchrig

Ob sich reiche Zuzüger vermehrt erkenntlich gezeigt haben bei der lokalen Bevölkerung oder ob es sich bei Ben Pons Schenkung um einen Einzelfall gehandelt hat? Dazu gibt es kaum Informationen. Überhaupt ist die jüngste Geschichte des Kantons Zugs erst in den Ansätzen erforscht. Es gilt laut Renato Morosoli, Historiker und Mitarbeiter des Staatsarchivs Zug, «noch viele Lücken zu schliessen». Einen wichtigen Beitrag könnte dabei die geplante Kantonsgeschichte liefern.

Was unabhängig davon klar ist: Auch wenn einzelne Zuger Dörfer wie Walchwil noch in den 60er-Jahren stark bäuerlich geprägt waren, so zählt der Kanton Zug als Ganzes zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr zum Armenhaus der Schweiz. Bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts wird der Kanton von der Industrialisierung erfasst und tummelt sich gut hundert Jahre später wirtschaftlich im eidgenössischen Mittelfeld. 

Die Schenkung Ben Pons war daher wohl weniger Armenhilfe als vielmehr ein Symbol oder ein PR-Stunt. 

So hat sich der Ausländeranteil im Kanton Zug entwickelt. (Bild: zvg)
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